Über Platten und Brücken
Am Busbahnhof Piazzale Roma kauften wir die Tickets für’s Vaporetto (Wasserbus), das uns durch den Canal Grande bis zur Haltestelle „Arsenale“ bringen sollte. Hier gab es gleich die nächste positive Überraschung: normalerweise kostet die einfache Fahrt pro Person 8 Euro. Ich dagegen fuhr umsonst, und Ulf, als meine Begleitperson, zahlte nur den Venezianer-Preis, nämlich 1,50 Euro. Stark! Die Einstiege ins Vaporetto sind Rolli-gerecht gebaut, zur Not hilft einem aber auch das Personal. Und dann heißt es erst mal eine Stunde lang genießen! Eine Vaporettofahrt durch den Canal Grande gehört vermutlich zu den schönsten Sight-Seeing-Touren, die man mit einem öffentlichen Verkehrsmittel erleben kann.
Nach dem Ausstieg am „Arsenale“ lernten wir gleich die Bodenbeschaffenheit der Lagunenstadt kennen. Im Wesentlichen sind das recht große Platten, mal mit glatten, mal mit ziemlich holperigen Fugen eingefasst. Insgesamt aber ganz gut fahrbar. Doch dann tauchte die erste Brücke vor uns auf, und davon gibt es in Venedig ja bekanntermaßen noch zwei oder drei andere. Umso größer war unsere Freude als wir die große Rampe entdeckten. Und es wurde noch besser! Entlang der breiten Uferpromenade Riva degli Schiavoni, Riva San Biagio und Riva dei Sette Martiri hat die Stadt nämlich alle Brücken mit Auf- und Abfahrten ausgestattet. Sehr zur Freude von Rollkoffern, Kinderwagen und Rollis, und auch die Mehrheit der Fußgänger nutzt lieber die Rampen als die Treppen…
Moderne Kunst und grauer Kies
Am nächsten Morgen ging’s dann zur Biennale in die Giardini (Gärten). Gleich wieder ein super Einstieg an der Kasse: die Mitarbeiterin erklärte Ulf (ich war erneut unsichtbar), dass er als meine Begleitperson freien Eintritt habe. Juchuuu, wieder 30 Euro gespart. Und gleich noch eine neue Erfahrung in der Warteschlange: als Rolli-Fahrer blickt man auf keine Hinterköpfe sondern auf Hinterteile. Manchmal ganz nett, meistens nicht.
Die Giardini sind eine verspielte Parklandschaft, die Napoleon anno dunnemals anlegen ließ. Darin finden sich 29 Nationalpavillions, in denen die Länder „Ihre Kunst“ präsentieren. Durch den Park führen viele Wege, die eines gemeinsam haben: kleine, graue Kieselsteine. Mit den üblichen Rolli-Lenkrädern eigentlich unfahrbar, zumal das Gelände auch Steigungen aufweist. Wenn man allerdings über einen Hinterradantrieb vom Schlage Ulfs verfügt, ist das trotzdem kein Problem. Man pflügt einfach hindurch – va bene!
Entspannter als die Fahrwege waren für mich die Toilettendichte und die Zugänge zu den meisten Pavillions. Wobei sich an manchen Stellen schon die Frage stellte, wer eigentlich die Rolli-Tauglichkeit prüft. Ab und zu gab es nämlich „Logik-Brüche“ im Rahmen der Auf- und Abfahrten, die mich als Teilfußgänger nicht wirklich behinderten, wohl aber einen 100%-Fahrer. Ach ja, Kunst gab es natürlich auch noch! Am beeindruckendsten fanden wir die Pavillions von Griechenland, Brasilien, Ägypten und Österreich. Den deutschen Pavillion und dessen mit einem Goldenen Löwen prämierte Performance von Anne Imhof wollten wir uns erst am nächsten Tag ansehen.
Fazit der ersten Tage
Ohne Rollstuhl hätte ich dieses Pensum nie-nie-niemals geschafft. Ein wahnsinniges Glücksgefühl! Plötzlich taten sich wieder ganz neue Möglichkeiten für mich auf. Jedoch bedurfte es auch Ulf als Begleiter. Vor allem natürlich, weil es mit ihm zehnmal mehr Spaß macht, aber auch als tatkräftige Unterstützung, ohne die ich einige Hindernisse nicht geschafft hätte. Interessant auch die neue Rolle im Rollstuhl. Zum Einen sieht man vieles aus einer anderen Perspektive, zum Anderen wird man von anderen anders wahrgenommen.
[Aller guten Dinge sind drei und morgen gibt es dann den dritten Teil der Reise von Marc nach Venedig mit seinem Rolli. Bis hierher muss ich sagen: da sollte ich auch mal hin, das klingt doch sehr einladend. Ich bin auch gespannt wie die Reise in Venedig endet und ob wohl alles mit dem Rückflug klappt. Danke Marc für deine Eindrücke. Ich freue mich auf Teil 3 🙂 ]